9. Jahrestagung der Plattform Privatheit
17. – 18. Oktober 2024, Villa Elisabeth, Berlin
© shutterstock.com/Tartila
Freiheit als Abwehr von ungerechtfertigter Machtausübung und Schutz vor Machtmissbrauch ist Voraussetzung für individuelle Selbstentfaltung und kollektive Selbstbestimmung. Grundrechte und Demokratie sollen diese Freiheit gewährleisten. Sie sollen die Ausübung von Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Gewissensfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Wahlfreiheit ermöglichen und vor Diskriminierung schützen. Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die Achtung des Privat- und Familienlebens und der Schutz personenbezogener Daten sind Bedingungen von Freiheit. Wie individuelle und kollektive Freiheit gelebt werden kann, ist abhängig von den gesellschaftlichen, technischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen, unter denen sie ausgeübt werden soll. In der modernen Welt sind für die Freiheitsausübung die gesellschaftlichen Infrastrukturen von entscheidender Bedeutung.
Infrastrukturen sind netzartige sozio-technische Systeme die verlässlich einen einheitlichen Satz von Leistungen anbieten, die von Interessierten als Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, als Eröffnung von Handlungsmöglichkeiten und als Schutz gegenüber Lebensrisiken genutzt werden können – wie für Kommunikation, Energieversorgung, Güteraustausch, Mobilität oder Unterhaltung. Infrastrukturen sind daher Grundlagen für die Ausübung von Freiheit. Sie können aber auch durch die Abhängigkeit von ihren Leistungen, durch die Machsteigerung ihrer Anbieter und die Rigidität ihres Angebots Freiheitsausübung einschränken oder gefährden.
Digitale Infrastrukturen sind Bedingungen für das Leben in der digitalen Welt. Ohne sie wären digitale Kommunikation, Informationssuche, -verbreitung und -verarbeitung, sozialer Austausch, Handel, Mobilität sowie Hardware- und Softwarenutzung nicht möglich. Vor allem die Infrastrukturnetze und -plattformen von Google, Apple, Meta, Amazon und Microsoft bieten Leistungen, die derzeit Grundlagen für digitale Freiheitsausübung sind. Generative große Sprachmodelle wie ChatGPT entwickeln sich gerade zu einer weiteren digitalen Infrastruktur. Aber auch die Anbieter „alter“ Infrastrukturen wie Automobilhersteller, Energieversorger, Telekommunikationsanbieter oder Bahnbetreiber bauen digitale Infrastrukturen auf, ohne die ihre Leistungen nicht mehr genutzt werden können. Selbst der Staat errichtet neue Infrastrukturen wie Bürgerkonten und elektronische Zugänge zur Verwaltung. Alle diese digitalen Infrastrukturen verändern Machtgefüge und Freiheitsspielräume.
Die großen digitalen Infrastrukturen sind global und durchdringen überall auf der Welt in intensiver Weise das digitale Leben. Ihre Marktanteile sind monopolartig und ihre Anbieter haben den mit Abstand höchsten Marktwert aller Unternehmen weltweit. Für diese ungeheure ökonomische Macht gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen sind ihre Angebote für das digitale Leben hilfreich und verführerisch und zum anderen sind sie „umsonst“. Die Abhängigkeit von ihnen ist hoch und wird immer höher. Diese ökonomischen Erfolge erzielen sie vor allem durch die Verarbeitung der Daten ihrer Nutzenden. Mit deren Hilfe erstellen sie Personenprofile, beuten Subjektivität der Betroffenen aus, verkaufen ihre Aufmerksamkeit, steuern ihre Informationen und beeinflussen ihr Denken. Mit ihrer Informationsmacht versuchen sie, ihr Verhalten zu beeinflussen oder gar steuern – bisher noch insbesondere für Konsumwahl und Kundenbindung, potentiell aber auch für andere Verhaltensformen wie z.B. Wahlentscheidungen. Politisches Micro-Targeting könnte auf der Grundlage der Personenprofile leicht zur Manipulation demokratischer Wahlen verwendet werden. Zahlreiche weitere Techniken der Verhaltensmanipulation wie z.B. Dark Patterns stehen zur Verfügung. Die gleichen Infrastrukturen, die Freiheit und Demokratie unterstützen können, entwickeln sich zu ihren Gefährdern.
Die Anbieter globaler digitaler Infrastrukturen ignorieren vielfach die demokratischen Entscheidungen in Europa oder Deutschland. Sie legen ihrem Handeln eigene Regeln zugrunde, die den europäischen oder nationalen Regelungen widersprechen. Sie wollen ihre eigene Rechtsordnung – verkleidet als Vertragsbedingungen – weltweit durchsetzen.
Die Europäische Union hat neue Regelungen geschaffen, um Gefahren durch die globalen digitalen Infrastrukturen einzuschränken und deren Macht zu begrenzen. Vor allem die Digitale Dienste-Verordnung, die Digitale Markt-Verordnung und die Datenschutz-Grundverordnung haben Regelungen geschaffen, um die Freiheit des Individuums zu schützen, die Voraussetzungen eines funktionierenden Marktes zu erhalten und demokratisch festgelegte Regeln des Zusammenlebens durchzusetzen. Ob diese Regelungen genügen werden, um die verfolgten Ziele zu erreichen, muss sich erst noch erweisen. Sie sind jedenfalls sinnvolle erste Schritte zur Freiheitssicherung und Machtbegrenzung.
Im Rahmen der diesjährigen Konferenz der Plattform Privatheit wollen wir uns interdisziplinär mit den Gestaltungsherausforderungen und -möglichkeiten auseinandersetzten, um Freiheit und Selbstbestimmung in digitalen Infrastrukturen zu stärken und unerwünschte Entwicklungen zu vermeiden. Diskutiert werden sollen technische, ökonomische, soziale, politische, rechtliche, kulturelle und pädagogische Ansätze, um den Schutz der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung in der digitalen Welt weiterzuentwickeln. Dabei werden normative, institutionelle und instrumentelle Konzepte eines freiheitsfördernden Datenumgangs im Kontext digitaler Infrastrukturen diskutiert. Es sollen auch konstruktive Bausteine für eine zukunftsgerechte Gewährleistung individueller und kollektiver Selbstbestimmung und Grundrechte erörtert werden.
Die folgenden Themenkomplexe werden exemplarisch behandelt und bieten eine erste, nicht abschließende Vorsortierung der Themen, denen sich die Beiträge widmen können:
Dieser Aufruf richtet sich an alle Forschenden der technischen, sozial- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen, der Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Philosophie sowie der Kommunikationswissenschaft. Besonders begrüßt werden fachübergreifende Einreichungen.
Vorschläge für Vorträge und Poster können in Form eines aussagekräftigen „Extended Abstracts“ (Umfang: 500-1.000 Wörter) über das Konferenzmanagementsystem EasyChair eingereicht werden: https://easychair.org/conference?conf=plattform2024
Tagungsband: Ausgewählte Beiträge der Tagung werden in einem Sammelband veröffentlicht, der in der Reihe „Privatheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt“ im Nomos-Verlag, Baden-Baden erscheinen wird. Poster-Präsentatoren haben die Möglichkeit, einen Kurzbeitrag in den Posterproceedings zu veröffentlichen.
Die Konferenzsprache ist Deutsch, Beiträge auf Englisch sind ebenfalls möglich.
Frist für die Einreichung von Abstracts: 15. Juni 2024
Benachrichtigung über die Annahme: 15. Juli 2024
Konferenz: 17-18. Oktober 2024
Einreichung von Beiträgen für den Tagungsband: Februar 2025
Erscheinungsdatum des Tagungsbandes: ca. September 2025
Programm: Michael Friedewald, Alexander Roßnagel, Murat Karaboga, Christian Geminn
Wissenschaftskommunikation: Barbara Ferrarese
Organisation: Susanne Ruhm
Für alle inhaltliche Anfragen: michael.friedewald@isi.fraunhofer.de
Für alle allgemeinen Anfragen: plattform.privatheit@isi.fraunhofer.de
Die Plattform Privatheit (bis 2022 Forum Privatheit)
veranstaltet seit fast 10 Jahren eine interdisziplinäre wissenschaftliche Jahrestagung.
Sie bietet vor allem der deutschsprachigen Community Gelegenheit, ihre
Forschungen zum Thema Privatheit, Datenschutz und digitales Leben zur
Diskussion zu stellen.